Was ist der heilige Geist?

In Diskussionen um die Identität des heiligen Geistes dreht sich die Argumentation gewöhnlich um das Thema der Personalität oder um eine Verbindung mit einem dreieinigen Gott. In einigen trinitarischen Darstellungen wird der Text aus Apostelgeschichte 5:3, 4 verwendet, um zu zeigen, dass der heilige Geist Gott sei. In Apostelgeschichte 5:3 wird über Ananias und Sapphira gesagt, sie hätten „den heiligen Geist“ belogen, während in Vers 4 von ihnen gesagt wird, sie hätten „Gott belogen“. Diese Quellen ignorieren einfach alle Fälle in der Bibel, wo von einer Vertretung gesagt wird, sie tue etwas, als ob die Person, die Dinge anweist, es tatsächlich selbst tut. Die Schrift sagt, Salomo habe den Tempel erbaut, doch zeigt sie eindeutig, dass er selbst ihn nicht erbaute, tatsächlich nicht mit Hand anlegte. Aber es war sein Projekt, es geschah auf seine Anweisung, und so wird es ihm zugeschrieben. Ähnlich bedeutet Gott belügen auch den Geist belügen, und umgekehrt. Aber das macht sie nicht zu etwas Austauschbarem. Wir lesen, „Gott ist Licht“. Aber wir würden nicht sagen: „Licht ist Gott“ (1. Johannes 1:5). So lesen wir auch, „Gott ist Liebe“, aber das bedeutet nicht, dass „Liebe Gott ist“ (1. Johannes 4:8). 2. Mose 3:2-6 erklärt, dass „ein Engel des Herrn [Jehova]“ Moses in einem brennenden Busch erschien. Doch in den folgenden Versen heißt es, Gott habe Moses aus dem Busch heraus gerufen. War der Engel Jehova, oder ist Jehova ein Engel? Oder war der Engel einfach nur eine von Jehova benutzte Vertretung? Was stimmt? (Vergleiche 1. Mose 16:7, 10.)

Im Bericht des Matthäus sagt Jesus zu seinen Anklägern: „Wenn es durch den Geist Gottes geschieht, dass ich Dämonen austreibe, dann ist das Königreich Gottes zu euch gekommen.“ Lukas gibt dieselbe Äußerung wie folgt wieder: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so hat das Königreich Gottes euch wirklich eingeholt“ (Lukas 11:20). Wäre der heilige Geist tatsächlich Teil eines dreieinigen Gottes, dem Vater gleich, wie es die trinitarische Theologie lehrt, wie könnte dann der Geist nur als „Finger“ Gottes bezeichnet werden?

Manchmal werden 1. Korinther 12:11 und Hebräer 2:4 zitiert, um zu zeigen, der heilige Geist habe einen „Willen“. Der Ausdruck „sein Wille“ in Hebräer 2:4 bezieht sich eindeutig auf den Willen Gottes, der zu Beginn des Verses erwähnt wird. In Bezug auf 1. Korinther 12:11 können wir den Ausdruck „so wie er [der Geist] will“ mit Jesu Aussage gegenüber Nikodemus vergleichen, dass „der Wind weht, wo er will“ (Johannes 3:8). Wir würden deswegen den Wind nicht als eine Person verstehen.

Es stimmt, wie andere betonen, dass vom heiligen Geist gesagt wird, er rede, lehre, leite, sei bekümmert usw. Doch jeder, der die Bibel als Ganzes gelesen hat, muss erkennen, dass es äußerst üblich ist, Objekte und Kräfte zu personifizieren, sie bildhaft so zu beschreiben, ALS OB sie Personen wären, obwohl sie es nicht sind. Von Wildnis, trockenem Land und Wüste wird gesagt, sie freuten sich, frohlockten und sängen (Jesaja 35:1, 2), die Erde und die Berge werden aufgefordert, in Gesang auszubrechen (Jesaja 49:13), die Flüsse mögen in die Hände klatschen und die Hügel zusammen vor Freude singen (Psalm 98:7, 8), oder im Gegensatz hierzu mögen die Tore Jerusalems klagen und trauern, und die Stadt sitzt verwüstet auf dem Boden (Jesaja 3:26). Da Christus die Hebräischen Schriften völlig kannte, warum sollten wir denken, er gebrauchte in seiner Lehre nicht ähnliche bildhafte Ausdrücke?

Im Buch der Sprüche wird von der Weisheit so gesprochen, als sei sie eine Frau, und über die personifizierte Weisheit wird weit mehr gesagt als über den personifizierten heiligen Geist. Es wird nicht nur von ihr gesagt, sie rede, sondern sie schreie auch auf, erhebe ihre Stimme, ermahne die Menschen, sie teile Zurechtweisung aus, wenn sie anbietet‚ ihre Gedanken auf sie auszugießen und ihnen ihre Worte bekannt zu machen’, aber sie wiesen sie zurück, ignorierten ihren Rat, verachteten ihre Zurechtweisung; sie lache über sie und verspotte sie, wenn Verheerung komme (Sprüche 1:20-30). Sie behütet auch Menschen, kann geliebt und umarmt werden (Sprüche 4:5, 6, 8, 9). Sie hat einen Mund, Lippen, lebt mit Klugheit, erwirbt Erkenntnis, liebt und hasst, hat Einsicht, Stärke, wandelt auf dem Weg der Gerechtigkeit, gibt Personen Reichtum, hat ein Haus mit Toren und Türen, wo sie Tiere schlachtet, Tische aufstellt, Töchter oder Mägde hat, Brot und Wein anbietet (Sprüche 8:1-21, 34; 9:1-6). Trinitarier stellen oft eine Liste mit Dingen auf, die über den heiligen Geist gesagt werden und die, so sagen sie, zeigten, dass er eine Person sei. Die Liste über die Weisheit übertrifft eine solche Liste bei weitem.

Und es ist klar, dass diese Art zu sprechen, zu personifizieren, zur Zeit der Abfassung der Christlichen Schriften ebenso wahr war wie zur Zeit der Abfassung der Hebräischen Schriften. So lesen wir in Matthäus 11:19 und Lukas 7:35, die „Weisheit erweist sich durch ihre Werke als gerecht“, sie erweise sich „durch alle ihre Kinder als gerecht“, im Wesentlichen dieselbe Art der Sprache wie in den Sprüchen. Trinitarier spielen Texte, wo der heilige Geist spricht, hoch und scheinen zu ignorieren, dass nicht nur gesagt wird, der Geist, sondern auch Blut und Wasser legten Zeugnis ab und seien in Übereinstimmung (1. Johannes 5:6, 7). In Römer 10:6 wird gesagt: „Die Gerechtigkeit aber, die aus Glauben kommt, redet so“, und die Gerechtigkeit ist keine Person. Aus diesem Grund sagt sogar das Catholic Dictionary über die Texte, die so oft angeführt werden, als zeigten sie, der heilige Geist sei eine Person:

„Die meisten Stellen liefern keinen stichhaltigen Beweis für eine Personalität… Wir dürfen nicht vergessen, dass das N[eue] T[estament] bloße Eigenschaften wie Liebe (1. Kor. xiii.4) und Sünde (Röm. vii.11), ja sogar abstrakte und leblose Dinge wie das Gesetz (Röm. iii.19), das Wasser und das Blut (1. Joh. v.8) personifiziert.“

Wir dürfen daher fragen, wo der Unterschied liegt, wenn wir vom heiligen Geist sagen, er ‚leite’, und von der Weisheit, sie ‚weise zurecht’, ‚leite’ und ‚bewahre’. Wo ist der Unterschied, wenn  man vom heiligen Geist sagt, er sei ‚bekümmert’, und von der Liebe sagt, sie sei ‚geduldig’, ‚ertrage alles’, lasse sich ‚nicht aufreizen’? Wenn man die Frage stellt, wie etwas, das keine Person ist, bekümmert sein kann, muss man gleichermaßen auch fragen, wie etwas, das keine Person ist (die Liebe), Geduld, Ausharren zeigen und nicht nachtragend sein kann.. Wenn das, was vom heiligen Geist gesagt wird, tatsächlich zeigt, dass er eine Person ist, dann zeigt das über Weisheit und Liebe Gesagte ebenso, dass sie Personen sind. Sprechen wir nicht, wenn der Geist „bekümmert“ ist, von „verwundetem Stolz“? Das ist der Grund, warum man so vieles an dieser Argumentation als oberflächlich empfindet.

In Johannes 16:7 sagte Jesus: „Es ist zu eurem Nutzen, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Helfer [oder Ratgeber, Tröster] keinesfalls zu euch kommen; wenn ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.“ In den verschiedenen Benennungen des heiligen Geistes als „Helfer“ oder „Tröster“ und in den meisten Übersetzungen werden im Evangelienbericht die Pronomina „er“ und „ihn“ gebraucht. Aber der griechische Begriff für „Helfer“ oder „Tröster“ (Paraklet) steht im Maskulinum, und jeder Bezug darauf mit einem Pronomen muss im Maskulinum stehen (Wie im Spanischen, wo zum Beispiel der Bleistift (lapiz) maskulin ist und immer das maskuline Pronomen él nach sich zieht, so wie „Tisch“ (mesa) weiblich ist und das feminine Pronomen ella nach sich zieht.) Im Gegensatz dazu steht das griechische Wort für „Geist“ (pneuma) im Neutrum und gebraucht immer ein Pronomen im Neutrum, selbst wenn der heilige Geist gemeint ist.

Warum sagte Jesus, es sei von Nutzen, dass er geht, damit der heilige Geist kommen kann? Ein Kommentar (The Expositor’s Bible Commentary, Band 9, Seiten 156, 157) trifft folgende Beobachtung:

„Jesus sagte seinen Jüngern, sein Weggehen sei in ihrem besten Interesse. Solange er in Person bei ihnen war, war sein Werk örtlich begrenzt; und es wäre unmöglich, gleichermaßen zu allen Zeiten und an allen Orten mit ihnen in Verbindung zu treten. Das Kommen des ‚Trösters’ würde sie für einen breiteren und machtvolleren Dienst ausrüsten.“

Wie wir wissen, ermöglicht es Jesus seinen Nachfolgern durch seine Himmelfahrt, „Freimut [zu] haben in Bezug auf den Weg des Eingangs in die heilige Stätte (der Gegenwart Gottes) durch das Blut Jesu, den er für uns als einen neuen und lebendigen Weg eingeweiht hat durch den Vorhang, das ist sein Fleisch, und da wir einen großen Priester über das Haus Gottes haben, so lasst uns mit wahrhaftigem Herzen in voller Gewissheit des Glaubens hinzutreten“ (Hebräer 10:19-22). Und so wie dem Einen, der zur Rechten Gottes herrscht, „alle Macht im Himmel und auf Erden“ (Matthäus 28:18) gegeben wurde, so kann er in vermehrtem Maße seinen irdischen Dienern Gottes heiligen Geist senden. Fünfzig Tage nach seiner Auferstehung wurde dieser heilige Geist in einer machtvollen Demonstration der Gegenwart und Macht Gottes über seine Jünger „ausgegossen“. – Apostelgeschichte 2.

Dass etwas Unpersönliches „Tröster“ genannt wird, ist nicht ungewöhnlich, wie frühere Beispiele gezeigt haben. Sowohl von Sünde und Tod, und auch von Gottes liebender Güte, wird in Römer 5:4, 17, 21; 6:12 gesagt, sie „herrschten“ über die Menschheit (der Begriff „herrschten“ ist eine Wiedergabe des griechischen ebasileusen, hergeleitet von basileus, „König“).

Was ist nun der heilige Geist? Der international bekannte katholische Gelehrte und Professor an der Universität Tübingen, Hans Küng, bezeichnet den heiligen Geist als „die unsichtbare Kraft und Macht, die von Gott ausgeht.“ Das ist ähnlich der Definition der Wachtturm-Organisation vom heiligen Geist als „Gottes wirksamer Kraft“. Wo die Wachtturm-Gesellschaft irrt, ist, dass sie den heiligen Geist nicht nur zu keiner Person, sondern so sehr unpersönlich macht, dass sie ihn sogar mit dem unpersönlichen elektrischen Strom usw. vergleicht. Aus demselben Grund scheint Küngs Rede vom Geist nur als „unsichtbarer Kraft und Macht, die von Gott ausgeht“, zu beschränkt, um die volle Bedeutung des Geistes zu erfassen. Es scheint, dass zumindest eine gewisse Parallele zur Schilderung des Paulus gezogen werden kann, er habe „den Sinn Christi“ (1. Korinther 2:16). Jeder von uns lässt einen bestimmten Geist erkennen, obwohl er sich bei gewissen Situationen in verschiedenen Facetten zeigen mag, als positiver oder wütenden Geist oder was auch immer. Aber der grundlegende Geist, den wir erkennen lassen, spiegelt wider, was wir als Person sind, wer wir sind, was tief in uns ist. Es ist also etwas sehr Persönliches an unserem Geist, obwohl er selbst keine Person ist. So ist es auch mit dem Geist Gottes oder mit dem Geist seines Sohnes (Römer 8:9). Wir können verstehen, wie der Geist Macht haben kann, indem wir betrachten, wie dies bei Menschen und dem Geist, den sie zeigen, ist. Um es zu veranschaulichen: Da ist eine Gruppe von Menschen, die gut miteinander auskamen, tolerant waren, rücksichtsvoll gegeneinander, und die so im Frieden miteinander lebten. Aber sollte jemand, der einen aggressiven, dogmatischen, streitsüchtigen Geist hat, sich unter sie mischen, dann ist es möglich, dass sie selbst nach einer gewissen Zeit anfingen, streitsüchtig zu werden – weil sie von seinem Geist angesteckt wurden. Es ist nichts Greif- oder Sichtbares, und doch hat es Macht. Dasselbe stimmt in der anderen Richtung. Eine Gruppe von Menschen ist vielleicht deprimiert, unfähig, etwas zu tun, weil sie eine negative Einstellung haben – mit einem Wort, sie sind entmutigt. Nun kommt jemand mit einem heilsamen, positiven Geist daher, und das kann dazu führen, dass sie ihre Deprimiertheit ablegen, sich schwungvoll fühlen, Kraft haben, wieder etwas zu tun. Nicht nur die Kraft ist offensichtlich, sondern auch die Tatsache, dass der Geist in jedem Fall sehr persönlich ist, nicht weil er eine Person ist, sondern weil er von einer bestimmten Person ausgeht und sie widerspiegelt.

In seiner gnädigen Rücksichtnahme auf die menschliche Schwäche gab Jehova den Israeliten Hilfen für ihren Glauben. Bei ihrem Marsch aus Ägypten veranlasste, dass bei Tag eine Wolkensäule vor ihnen herging und des Nachts eine Feuersäule (2. Mose 13:21, 22). Diese sichtbaren Dinge dienten als Beweis für Gottes Anwesenheit bei ihnen. Als die Stiftshütte errichtet wurde, bedeckte die Wolke es. Die Israeliten verstanden, dass zwischen den Cherubim auf der Bundeslade im Allerheiligsten der Stiftshütte (und später des Tempels) ein göttliches Licht schien, das erleuchtete und Gottes bevollmächtigende Gegenwart symbolisierte (1. Samuel 4:4; Psalm 80:1). Christen haben keinen irdischen Tempel, sie selbst bilden einen Tempel Gottes, gegründet auf seinem Sohn als dem Eckstein (1. Korinther 3:16, 17; 2. Korinther 6:16; Epheser 2:21). Gottes heiliger Geist ist ihnen gegenüber tätig und erfüllt sie, leitet sie und gibt ihnen Kraft. Ausdrücke wie: „Der Gott des Friedens sei mit euch allen“ und: „Der Gott der Liebe und des Friedens sei mit euch“ (Römer 15:33; Philipper 4:9 und 2. Korinther 13:11) sind zweifellos gleichbedeutend mit dem Wunsch, dass Gottes heiliger Geist mit ihnen sei. Dafür, dass Gott in dieser Weise „mit ihnen“ ist, gibt es keine Wolken- oder Feuersäule als Beweis, sondern die Frucht, die dieser Geist Gottes in ihrem täglichen Leben hervorbringt (Galater 5:22-25). Sie „leben gemäß dem Geist“ und „richten ihren Sinn auf die Dinge des Geistes“ und zeigen geistiges Unterscheidungsvermögen und den „Sinn Christi“. – Römer 8:5, 6; 1. Korinther 2:14-16.

Da die Schrift selbst keine detaillierte Definition gibt, können wir nicht so tun, als wüssten wir Genaues auf diesen Gebieten. Es scheint aber offenkundig zu sein, dass Gottes Geist zu haben nicht bloß bedeutet, dass man eine unsichtbare Kraft hat, die einen antreibt, sondern dass man eins wird mit Ihm, dass man über Dinge wie Er denkt und empfindet, dass man Seine Ansicht hat und sich bewogen fühlt, in Übereinstimmung mit Seinen Beweggründen zu handeln, oder wie immer man die treibende Kraft hinter Seiner Handlungsweise und dem Ausführen Seines Willens bezeichnen kann (Vergleiche die Äußerungen von Paulus in 1. Korinther 5:3, 4; und 2. Korinther 11:4). Dieser „Beweggrund“ ist vor allem Liebe, die Gott bewog, seinen Gott für uns zu geben, und die das erste Element der „Frucht“ des Geistes Gottes ist, wie sie Galater 5:22 beschreibt. Es scheint klar zu sein, dass es nicht nur eine Kraft oder Macht ist, die diese Frucht der Liebe, Freude, Geduld und ähnliches hervorbringt. Es ist mehr der Einfluss dessen, was Gott ist, und dass wir ihn als den, der er ist, kennen und lieben lernen.

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors.]